Aus Anlass des 400. Geburtstags Joachim von Sandrarts (1606-1688)
„Kunstvoller Parnaß der Edlen Mahlerey“
Von Joachim Stark
Umrahmt von Nürnberger Ratsherren: Selbstbildnis Joachim von Sandrarts aus dem „Friedensmahl“ (1650), Nürnberg, Stadtmuseum Fembohaus. Foto: Stark
Sandrarts "Friedensmahl" (1650) zeigt die Gesandten des Kongresses im Jahre 1649 beim Prunkmal im Nürnberger Rathaus. Foto: Stark
Er war einer der bekanntesten und gesuchtesten deutschen Maler des Barockzeitalters. Adelige, Patrizier und hohe Militärs ließen sich gerne von ihm portraitieren, kirchliche und mythologische Themen wusste er gleichermaßen kompetent auf die Leinwand zu bringen, sei es in kleineren Formaten, geeignet für ein Speisezimmer, oder auch im monumentalen Maßstab, angemessen für ein Kirchenschiff. Er war weltgewandt und mehrsprachig, seine Lehrjahre und Reisen führten ihn in die europäischen Metropolen, nach Rom, Amsterdam und London. Als arrivierter Künstler malt er den deutschen Kaiser, er portraitiert den Papst und den Kurfürsten von Bayern. Doch sein Werdegang ist auch eng verbunden mit einer Stadt, die im 17. Jahrhundert, zumal nach dem 30-jährigen Krieg, nicht mehr an ihre Bedeutung in den Jahrhunderten zuvor anknüpfen konnte: die Freie Reichsstadt Nürnberg. Hier verbringt er viele Jahre seines Lebens, und einige seiner bedeutendsten Werke sind mit Nürnberg verbunden.
Die Rede ist von Joachim von Sandrart, der am 12. Mai 1606 in eine calvinistische Kaufmannsfamilie hineingeboren wurde, allerdings nicht in der Stadt der Reichskleinodien, sondern in der Stadt der Kaiserwahl und großen Handelsmessen, in Frankfurt am Main. Schon als Junge entdeckt er seine Liebe und sein Talent zum Zeichnen, das ihn im Alter von 14 Jahren bereits nach Nürnberg führt, wo er bei Peter Isselburg eine Kupferstecherlehre beginnt. Als Isselburg zwei Jahre später nach Bamberg übersiedelt, geht Sandrart wieder auf Wanderschaft. Über Prag und Frankfurt gelangt er nach Utrecht, wo er beim Hofmaler Gerrit van Honthorst, einem Anhänger Caravaggios, in die Lehre kommt. Hier lernt er auch Rubens kennen, der ihn auf eine zweiwöchige Reise durch die Niederlande mitnahm. 1627 begleitet er seinen Lehrer Honthorst an den Hof des englischen Königs Charles I. Ein Jahr später finden wir Sandrart in Venedig, wo die Malerei Tizians und Veroneses ihn tief beeindruckt. Anschließend zieht es ihn nach Rom, wo er insgesamt sechs Jahre zubringt, bis 1635.
Eine schwungvolle Malerkarriere
Seine Malerkarriere kommt so richtig erst in Amsterdam in Schwung, wo er sich von 1638 bis 1645 vor allem als Portraitmaler betätigt. Seine finanzielle Situation ist hervorragend, er kann ein großes Haus führen und „einen kunstvollen Parnaß der Edlen Mahlerey aufrichten“. In Amsterdam entsteht denn auch eines der beiden bedeutendsten Gruppenportraits, die Sandrart geschaffen hat, eine Versammlung von Schützen. Das Bild entstand aus Anlass eines Besuchs der Maria de Medici, der Mutter Ludwig XIV., in Amsterdam, bei dem die Schützen der Monarchin ihre Aufwartung gemacht hatten. Ein kompositorischer Kunstgriff Sandrarts: Die Königin ist im Bild nicht als Figur präsent, sondern nur als Abbild in Form einer Marmorbüste, der sich die Schützen indes erwartungsvoll zuneigen.
In das Genre des Gruppenportraits gehört auch das zweite wichtige Historienbild von der Hand Sandrarts, das monumentale „Gesandtenmahlbild“ oder „Friedensmahl“, entstanden 1649/1650 in Nürnberg (früher im Nürnberger Rathaus, jetzt im Fembo-Haus) als Auftragswerk für den Vertreter der schwedischen Krone und späteren schwedischen König Karl Gustav von Pfalz-Zweibrücken Kleeburg. Sandrart, der seit 1645 zusammen mit seiner ersten Frau Johanna auf dem geerbten Hofgut Stockach bei Ingolstadt lebte, hatte sich eigens für die Dauer der Verhandlungen in Nürnberg niedergelassen, und sein Malzimmer in der „Winklerischen Behausung“ eingerichtet. Dort suchten ihn zahlreiche Kongressteilnehmer auf, um sich privat portraitieren zu lassen. Aus dieser Zeit stammt wohl auch das „Bildnis eines Herrn“ (1651), das sich heute im Germanischen Nationalmuseum befindet.
Das „Friedensmahl“ zeigt nicht nur die Gesandten der europäischen Mächte beim Prunkessen am 5. Oktober 1649, das nach der Vertragsunterzeichnung im Nürnberger Rathaussaal über den Truppenabzug und dessen Finanzierung nach dem Dreißigjährigen Krieg veranstaltet wurde. Am rechten Bildrand hat sich Sandrart selbst portraitiert, wie er gerade vom Skizzenblock auf- und den Betrachter anblickt. Hinter ihm sind Nürnberger Ratsherren postiert.
Bedeutende Aufträge in Franken
Außer in Nürnberg hat Sandrart auch in weiteren Kunst-Zentren der fränkischen Region gewirkt: Für den Bamberger Dom malte er eine „Enthauptung des Johannes des Täufers“ sowie eine Schutzmantel-Maria. Die Bilder werden in die Zeit um 1651 datiert. Für die Altäre an den Vierungspfeilern im Dom zu Würzburg schuf er 1646/47 eine große Kreuzabnahme, die sich an Rubens’ Bild zum gleichen Sujet für die Kathedrale in Antwerpen orientiert, sowie eine Himmelfahrt Mariens. Beide Gemälde, jedes mit den Maßen 350 x 185 cm, verbrannten beim Bombenangriff am 16.März 1945. Für Schloss Weißenstein in Pommersfelden sind zwei Darstellungen zum Alten Testament bezeugt. Im Germanischen Nationalmuseum wiederum ist ein mythologisches Thema zu sehen: „Der Knabe Jupiter wird gesäugt“. Es wurde 1688 vom Künstler der Stadt Nürnberg vermacht. Außerdem befindet sich im GNM die Darstellung eines Geographen (1673). In Schloss Neunhof schließlich hängt eine Jagdszene, die Sandrart zugeschrieben wird.
Hauptwerk „Teutsche Academie“
Sein wichtigstes Werk gehört indes nicht der bildenden Kunst an, sondern der Literatur, bzw. der Kunstgeschichtsschreibung: die „Teutsche Academie der Bau- Bild- und Mahlerey-Künste“, das „opulenteste und bestausgestattete Werk der gesamten Kunstliteratur“, so der Erlanger Kunsthistoriker Karl Möseneder. Was der Wahl-Florentiner Giorgio Vasari für die Künstler der Arno-Stadt und der Niederländer Karel van Mander für die holländischen Maler seiner Zeit geleistet hatten, wollte Sandrart für die Künstler der „Teutschen Nation“ vollbringen. Mit Künstler-Biografien – z.B. über die Brüder van Eyck, Michael Wolgemut, Albrecht Dürer, Grünewald, Hans Holbein, Adam Elsheimer bis hin zu Sandrarts Zeitgenossen Rubens und Rembrandt, sowie zahlreiche heute weniger namhafte Meister -, wollte Sandrart dafür sorgen, dass die „hochgestiegnen Kunstwerke … zur Lehr und Nachfolg unausgesetztet vor Augen schweben, und also der alten edlen Künstler Gedächtniß und Ruhmwürdige Werke der Vergessenheit nicht einverleibet, sondern in ihren höchsten flor von Zeit zu Zeit mögen erhalten werden.“ Die beiden 1675 und 1679 erschienenen Bände wurden bei Miltenberger in Nürnberg gedruckt und gelten als Meisterwerke der Nürnberger „schwarzen Kunst“.
Nach dem Tode seiner ersten Frau im Jahre 1672 zieht Sandrart 1673 endgültig von Stockach nach Nürnberg um. Grund ist die erneute Heirat des nun 67-jährigen, und zwar mit der 21 Jahre alten Nürnberger Kaufmanns- und Bankierstochter Esther Barbara Blomert. In dieser Zeit übernimmt Sandrart auch die Leitung der Nürnberger Akademie. Ob er bei deren Gründung im Jahre 1662 maßgeblich beteiligt war, ist nicht mit letzter Sicherheit geklärt. Gesichert hingegen ist seine Initiative bei der Gründung der Akademie in Augsburg (1670-74). 1676 wird Sandrart außerdem in die Fruchtbringende Gesellschaft aufgenommen, unter dem Namen „der Gemeinnützige“ und dem Motto: „Ragt weit hervor“. In Stein übernimmt Sandrart eine führende Rolle in der dortigen calvinistischen Gemeinde.
Ein Verehrer Dürers
Im Nürnberger Stadtteil St. Johannis ist eine Straße nach Sandrart benannt. Auf dem Friedhof St. Johannis liegt der am 14.Oktober 1688 Verstorbene auch begraben, unweit des von ihm verehrten „Malerfürsten“ Dürer, dem er in seiner „Teutschen Academie“ ein Kapitel gewidmet hatte. 1680 übrigens hatte Sandrart die Dürer’sche Grabstätte gekauft und im Jahr darauf renovieren lassen und festgelegt, dass sie Dürer „zu glorwürdigen Ehren allein bleiben, auch hinfüro auf ewig niemand mehr hineingelegt werde.“ Sandrart ließ auf einer Bronzetafel eine Widmung anbringen, deren erster Satz lautet: „Hier ruhe Künstlerfürst, Du mehr als großer Mann.“
„Kunst hat ihren Namen vom Können“
Schlagen wir noch kurz einen Bogen zur zeitgenössischen Kunst, bzw. zur Postmoderne, wie sie sich in der Installation eines Münchner Künstlers am Hauptmarkt derzeit in Nürnberg manifestiert. Ein Werk wie dieses hätte freilich gänzlich außerhalb des Vorstellungsvermögens eines Sandrart oder eines seiner Zeitgenossen gelegen. „Kunst hat ihren Namen vom Können“, schrieb Sandrart, und dieses Können bezog er darauf, „wann man gleichwie mit dem Gemüte also auch mit der von der Vernunft geführten Hand, Gott und der Natur nachahmet, und deren Geschöpfe nachbildet.“ Diese ganz in der Tradition eines Dürer oder eines Giorgio Vasari stehende Auffassung hätte für den Paradigmenwechsel in der Kunst, wie er Anfang des 20. Jahrhunderts mit Kubismus, Abstraktion und Ready-made einsetzte, - in diesem Kontext steht auch besagte Installation - keinen Platz gehabt. Es hätte schlicht außerhalb jeglicher Begrifflichkeit und damit des Vorstellungsvermögens eines Barock-Künstlers gelegen.
Dass aber die Toleranz in religiösen und künstlerischen Dingen sowohl für Maler als auch ihre Auftraggeber eine durchaus übliche Praxis war, wird daran deutlich, dass der Calvinist Sandrart für katholische Klöster und Kirchen bedeutende Aufträge ausführte, z.B. für die Benediktiner-Stiftskirche Lambach am Traunsee, die bereits erwähnten Dome zu Würzburg und Bamberg, aber auch die Frauenkirche in München. An dieser praktischen Toleranz im Bereich der Künste im 17. Jahrhundert könnte sich mancher selbsternannte Kritiker der zeitgenössischen Kunst des 21. Jahrhunderts – bei aller berechtigten Infragestellung von deren formaler und inhaltlicher Angemessenheit - mitunter ein Beispiel nehmen.