Zuviel Politik, zuwenig Kunst – Documenta 12 zwischen Déjà vu und Ready made
Von Joachim Stark - Juni 2007
Im Zentrum des Medieninteresses: Ein eher nachdenklicher Ai Weiwei am 13. Juni 2007 vor seiner Installation "Template". Schon am 20. Juni stürzte die Struktur aus Türen und Fenstern der Ming-und Qing-Dynastien in sich zusammen.Foto: Joachim Stark
Ja doch, ein Besuch der Documenta 12 lohnt sich in jedem Fall. Damit sei die Frage aller Fragen in diesen Tagen gleich zu Beginn beantwortet. Allerdings ohne Gewähr. Denn das „Aber“ folgt sogleich: Jeder prüfe eingehend, was er/sie denn von dieser Schau der Gegenwartskunst für sich erwartet. Und da ist die Spannbreite groß: Sucht man die Provokation, oder gar den Skandal? Will man etwas Schönes sehen? Sucht man Neues oder gar Innovatives in der bildenden Kunst? Will man wissen, welche Künstlerinnen und Künstler in den nächsten Monaten und Jahren an Marktwert zulegen und deshalb als Geldanlage geeignet wären? Oder will man sich, bescheiden, „nur“ ästhetisch bilden? Letzteres sähe der künstlerische Leiter Roger M. Buergel gewiss am liebsten.
Die Kommentare der Kunstkritik anlässlich der Eröffnung der Documenta 12 fielen eher skeptisch bis ablehnend aus: Zu verkopft, zu wenig für die Sinne, zu pädagogisch, der hohe Anspruch sei nur bedingt eingelöst, die hohen Ziele nicht erreicht worden, oder gar: die Ausstellungsmacher enttäuschen mit intellektuellen Luftblasen (WamS). Dabei sollte indessen nicht übersehen werden, dass Buergel und Noack gegen diese Kritik, die ihnen vermutlich eh gleichgültig ist, einwenden können: Sie hätten die Schau lediglich unter drei Leitfragen gestellt. Antworten wollten Sie gar nicht geben. Ein Ziel, an dem sie sich würden messen lassen müssen, hatten sie damit wohlweislich erst gar nicht gesteckt.
Um es kurz zu machen: Neues bzw. Innovatives gibt es nicht zu sehen. Allenfalls Anderes, aus anderen Weltgegenden und Ländern eben, die auch als Peripherie des hoch entwickelten Kapitalismus bezeichnet werden: Palästina, Indien, China, Australien, von den kanadischen Inuit, und Südamerika. eine Kunst mit anderen Themen. Es werden klassenspezifische, feministische und ethnische Themen verhandelt, Themen, die seit den 60er Jahren zum Kanon der westlichen Kunst gehören. Aber die Ausdrucksformen unterscheiden sich nicht von dem, was wir seit Jahrzehnten, genauer: seit den 60er Jahren des vorigen Jahrhunderts aus dem alten Zentrum, der atlantischen Welt zwischen Berlin, London, Paris und New York schon kennen.
Z. B. Romuald Hazoumé’s löchriges Traumboot vor Fototapete von afrikanischem Traumstrand (Aue-Pavillon): Der Beuys-Schüler Anatol kam zur Documenta 1977 bereits mit seinem „Traumschiff Tante Olga“ aus Polyester nach Kassel geschippert, um das Gefährt dort auszustellen. Oder das terrassierte Reisfeld von Sakarin Krue-On im Bergpark Wilhelmshöhe: Das ist nicht nur eine Variante der altbekannten Land Art der 70er und 80er Jahre des vergangenen Jahrhunderts. Beuys hatte mit seinen 7000 Eichen für Kassel bereits auf Natur als Kraft gegen die Exekutive gesetzt und damit viel Widerstand provoziert. Buergel wird hier auf seine viel bemühte „Migration der Form“ verweisen. Aber das Reisfeld evoziert Arbeitswelt und fernöstliche Landwirtschaft, mehr nicht. Kein Gedanke an „Stadtverwaldung“ statt Stadtverwaltung. Apropos Migration der Form: Diese wohlklingende Formel erinnert stark an das Projekt des Kunsthistorikers Aby Warburg, der sich u.a. für das Fortleben der Antike in der europäischen Renaissance interessierte.
Die Giraffe im Untergeschoss der Documenta-Halle, von Peter Friedl unter dem Titel „The Zoo Story“ dort platziert, ist ein objet trouvé bzw. ready made. Das Objekt „lebt“ von seinem politischen Bedeutungshorizont: Das Tier namens „Brownie“ lebte in einem Zoo im Westjordanland, starb bei einem israelischen Bombenangriff und wurde anschließend ausgestopft. Roger M. Buergel hofft, dass dieses Bild „eine andere Geschichte in Gang setzt als die ohnmächtig stereotypen Medienbilder aus der Konflikt- und Besatzungszone, an denen sich jede politische Rationalität blutig stößt. Brownie ist das Kondensat und zugleich der mögliche Keim eines historisch-politischen Epos. Diese Geschichte beginnt mit der wundersamen Metamorphose der toten Giraffe zu einer Idee“ (Katalogtext).
Diese wenig überzeugende Überfrachtung von Objekten und Kunstwerken mit politischen Inhalten, aber auch das allzu oft platte Auf-der Hand-liegen politischer und sozialer Bedeutungen, macht die Werke dieser Documenta streckenweise wenig interessant. Das gilt auch für die Installation „Status“ (2005, Neue Galerie) des Südafrikaners Churchill Madikida, die dem Aids-Thema gewidmet ist. Das ist anrührend, spricht über das „bloße Leben“ – so die zweite Leitfrage dieser Documenta –, ist aber als Kunstwerk zu wenig differenziert und sublimiert, um bei der BetrachterIn längeres Nachdenken auszulösen. Dass Aids in Afrika ein Riesenproblem ist, um das sich die reichen Länder zu wenig kümmern, ist allgemein bekannt.
Ai Weiwei’s „Fairytale“, das Verfrachten von 1001 Chinesen nach Kassel und zurück, mag eine sehr teure (3,1 Mio. EUR, privat finanziert) und aufwendige Performance sein, von deren Verlauf nur Fotos und Filme übrig bleiben werden. Aber vergleichbares haben Künstler aus dem westlichen Kunstkontext schon wiederholt gemacht. Erinnert sei z.B. an die Großprojekte von Christo und Jeanne-Claude, deren Planung viele Jahre dauerte und deren temporäre Realisierung viele hundert Mitarbeiter benötigte. Alles in allem zeigt diese Documenta zu viele Stil-Kopien und zu wenige authentische Originale. Doch Originale gibt es in der Kunst, nach dem Tod des Autors, eh’ nicht mehr, dürfte Buergel sagen.
Doch es finden sich auch Werke, die überzeugen, z.B. die geheimnisvolle Malerei von Monika Baer (Aue-Pavillon), die radikal-schonungslosen fotografischen Selbstportraits von Jo Spence (Aue Pavillon), die Installation „Love Songs“ von Mary Kelly (Neue Galerie), die auf die feministische Bewegung seit den 70er Jahren zurückblickt, und die Tanz-Performance von Trisha Brown („Floor of the Forest“, Fridericianum). Warum Künstlerinnen wie Mona Hatoum, Cindy Sherman und Louise Bourgeois, oder auch Paloma Varga Weisz z.B. nicht eingeladen wurden, bleibt das Geheimnis der Kuratoren. Womöglich gelten sie als zu arriviert, zu sehr vom Kunstmarkt vereinnahmt, um in dieser Geschichte der Gegenwartskunst „ohne Namen“ Platz zu finden.
Zumal bei diesen Künstlerinnen fänden sich die Ambivalenz und die multiplen Deutungsebenen, die ja oft den Reichtum eines Kunstwerks, das Interessante und Spannende an ihm ausmachen. Dies zu entschlüsseln und auch den Zweifel auszuhalten, ob denn das Verstehen wirklich gelungen ist, wäre erfolgreiche ästhetische Bildung. Bei allzu vielen Werken, die auf der Documenta 12 ausgestellt sind, sind das Thema, das Engagement, kurz: das Politische zu offensichtlich. Mag sein, dass dies eine besonders politische Documenta ist. Aber die künstlerische Dimension droht dabei auf der Strecke zu bleiben.